Hoffen hat seine Zeit
Vor drei Jahren hat meine Familie Abschied von unserer lieben „Omi“ Christina nehmen müssen. Besonders in diesem Monat November muss ich an sie denken, denn sie würde ihren 100. Geburtstag feiern. Ja, sie lebte ein erfülltes Leben. Dennoch tut die Sehnsucht immer noch weh. Bei ihrer Beerdigung haben wir ein altes Schlaflied gesungen, das wir von ihr gelernt haben: „Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht (…) Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt“. Bei meiner Ansprache habe ich die Trauenden – und mich selbst – daran erinnert, dass kein Mensch wissen kann, wann sein letzter Tag auf Erden sein wird. Aber wir können als Christen getrost Abschied nehmen, denn wir wissen: Wir werden vom lieben Gott wieder geweckt, zum ewigen Leben bei Ihm.
Sterben ist ein Teil des Lebens – aber was kommt nach dem Tod? Heinz Padell sagt dazu: Diese Frage lässt sich nicht wissenschaftlich klären, und es kann keine Antwort geben, die sich beweisen lässt. Aber Christen leben aus dem Glauben, dass Jesus Christus nicht im Grabe blieb. Gottes Liebe reicht über den Tod hinaus.
Als Kinder beten wir: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm!“. Damit ist allerdings nicht den blauen Himmel über uns gemeint, aber den unsichtbaren Himmel, in dem Gott mit seinen Engeln wohnt. So hoffen wir Christen, dass auch unsere Verstorbenen und wir selbst dort einmal geborgen sein werden.
„Wir wissen nicht, was uns nach dem Tode erwartet, aber kennen den, der uns erwartet.“ (Helmut Thielicke) – Das ist genug, und es gibt vielen Menschen Hoffnung, Trost und Geborgenheit. |
Aber wer macht sich heutzutage schon Gedanken um das eigene Ende auf der Erde? Der Alltag vieler Menschen ist von Arbeit geprägt, von der Suche nach Erfolg, Geld und gutem Aussehen. Wie können Themen wie „Tod“ und „Himmel“ wieder präsent gemacht werden?
Das will eine Aktion vom deutschen Bestatter Fritz Roth zeigen. Vor ein paar Jahren habe ich schon darüber berichtet. „Das letzte Hemd hat keine Taschen“, so besagt ein bekanntes Sprichwort. Aber stellen Sie sich einmal vor, wenn Sie sterben, könnten Sie einen Koffer mitnehmen. Was würden Sie in diesen Koffer für die letzte Reise aus diesem Leben einpacken?
Sie denken vielleicht: „Auf diese ‚Reise‘ nimmt man doch kein Gepäck mit, und schon gar keinen Koffer!“. Dennoch hatte Fritz Roth genau diese Idee gehabt. Roth begleitete beruflich viele Menschen durch ihren Trauerweg und merkte dabei immer wieder, dass sich nur wenige Personen Gedanken über ihren eigenen Tod machen. Die meisten denken: „Warum soll ich mich um mein Tod sorgen, wenn ich genug im Leben zu tun habe?“
Roth hat nun in seiner Idee 100 kleine, leere Koffer an 100 Menschen geschickt. Die Empfänger waren Frauen und Männer, alt und jung, Künstler und Handwerker, berühmte und unbekannte Personen. Die Gepäckstücke waren alle gleich, 35 mal 55 Zentimeter groß und drinnen war ein Zettel mit der Frage: „Was würden sie auf der letzten Reise aus diesem Leben mitnehmen?“
Nach zwei Monaten wurden die Koffer wieder eingesammelt. Seitdem sind sie in verschiedene Museen zu sehen. Die Besucher sind eingeladen, sich Gedanken über den Tod und das Sterben zu machen, über die Endlichkeit jeden Lebens.
Aber was haben nun diese 100 Menschen eingepackt? Die Inhalte der Koffer sind so vielfältig wie die Menschen. In den Koffern waren zum Beispiel Fotos, Bücher, Kerzen, Briefe, Spiegel, Äpfel, Wein, CDs, Bibeln, Nudeln, Buntstifte, oder einfach ein Stück Papier mit den Worten „Nichts“, „Entschuldigung“ oder „Liebe“ zu sehen. Manche haben ihren Koffer einfach leer zurückgegeben und meinten: „Ich hoffe, dort im Himmel als Gast aufgenommen zu werden, dem alles Notwendige gegeben wird.“
Stimmt, wirklich mitnehmen kann man nichts, es kann meiner Meinung nach also nur um Symbole gehen. Ich finde aber den Gedanken spannend, selber einen solchen Koffer zu packen und sich die Fragen zu stellen: „Was ist in meinem Leben wirklich wichtig? Menschen, Sachen, Erinnerungen, Wünsche? Was verbleibt, wenn ich gehe?“
Sich mit dem Tod zu konfrontieren ist nicht leicht, sei es mit dem eigenen oder mit dem eines geliebten Menschen. Kirchliche Gemeinden sind der Ort, wo man offen damit umgehen kann, darüber reden kann, wo die Fragen, Ängste und Vorstellungen der Menschen ernst genommen werden.
Auch die christliche Bestattung gehört zum Gemeindeleben. Es ist ein religiöses Ritual, nicht eine „Reise“ ins Jenseits. Die Beerdigung ist eine Übergabe. Der verstorbene wird in die Hände Gottes gelegt und Gottes Gnade anvertraut. Es ist ein Übergang vom diesen Leben ins ewige Leben, gemäß dem Wort Jesu: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“ (Johannes 11,25).
Gott steht uns bei, auch in unserer letzten Stunde. Dieser „Koffer“ trägt die Handschrift meines Lebens und liegt in Gottes gnädigen Händen.
Gott, lehre du uns, dass Leiden und Tod zum Leben gehören. Sei bei uns in unserer Mutlosigkeit und Verlassenheit und hilf uns zu erkennen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat.
Pfarrer Jaime Jung