Beglückende Entdeckung
Es war einmal eine kleine Sonnenblume, die mitten in einem Garten stand. Die kleine Sonnenblume meinte, dass sie es sei, die die Sonne täglich über die Himmelskuppel wandern liess. Nannte man sie nicht “girasol”, die “Sonnenwenderin”?
Ja, sie war es, die die Sonne über den Himmel lenkte, jeden Tag aufs neue! Welch eine Verantwortung hatte sie zu tragen! Sie raffte alle Kräfte zusammen, um ihr schweres Werk zu vollbringen, ständig die Richtung anzugeben, der die Sonne zu folgen hatte.
Wenn wieder ein Tag zu Ende war, sagte die Sonnenblume zu sich selbst: Ich habe es wieder einmal geschafft. Ich weiss, ohne mich geht es nicht. Aber es ist Schwerarbeit. Man müsste so gross sein wie ein Wagenrad, um der Aufgabe ganz gewachsen zu sein. So weiss ich nicht, wie lange ich das noch durchhalte. Die Anstrengung macht mich einfach fertig. Eines Tages ging einer vorüber, der blieb bei der kleinen Sonnenblume stehen und sagte ihr, dass nicht sie es sei, die die Sonne bewegte, sondern dass es umgekehrt war: Die Sonne bewegte durch ihre Strahlen das kleine Blumengesicht. Da wurde die kleine Sonnenblume traurig. Sie war wie am Boden zerstört, liess das Köpfchen hängen und wollte am liebsten sterben.
Doch am nächsten Morgen, als die Sonne aufging, machte sie eine beglückende Entdeckung: Müde und traurig wie sie war, ohne Kraft, ihr Köpfchen zu heben, spürte sie wie die Strahlen der Sonne sie durhdrangen und erwärmten. Ohne dass sie etwas dazu getan hätte, merkte sie, dass ihr Gesicht auf einmal der Sonne zugewandt war. Überrascht und erfreut gab sie sich ganz dem Licht und der Wärme hin, die sie durchströmten.
Und es geschah, dass die kleine Sonnenblume von einem Glücksgefühl erfüllt wurde, wie sie es bisher nicht gekannt hatte.(WWW lindolfow.com)
Ein Mensch ist keine Sonnenblume. Und er ist keine Lilie auf dem Felde. Und doch können wir neunmalklugen Menschen von den Blumen lernen, wie Jesus (Matthäus 6.28-29) sagt. Der Liederdichter Gerhard Teersteegen sagt es in dem Lied “Gott ist gegenwärtig” auf seine Weise: “Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stillehalten, lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen!”
Wir Menschen haben uns durch unsere raffinierte Technik eine eigene, unruhige Welt geschaffen. Oft fühlen wir uns wie ein Rädchen in einem grossen, mechanischen Räderwerk. Schliesslich setzt sich in unseren Köpfen das Gefühl fest, dass wir es sind, die das Räderwerk in Bewegung halten müssen, dass ohne uns gar nichts mehr läuft. Wir werden dann leicht zu Sklaven anderer Menschen – oder zu Sklaven unserer selbst. Ehrgeiz und Habgier sind dann oft die härtesten Sklaventreiber.
Da wird es gut sein, wenn wir Gott um ein solches “Sonnenblumenerlebnis” bitten. Dass wir merken, dass von Gott die Kraftströme ausgehen, die Himmel und Erde in Bewegung halten. Und das könnte gerade für einen umgetriebenen und überlasteten Menschen unserer Zeit zu einem unsagbaren Glückserlebnis führen.