Predigt bei der Einweihung der Kirche in Badenfurt
Wir glauben es dem Gedenken von Pastor Hesse schuldig zusein, wenigstens eine seiner Predigten ungekürzt vorzulegen, und wãhlen aus den bearbeiteten Manuskripten die Predigt bei Einweihung der Kirche in Badenfurt, Santa Catarina, die am 7. Juli 1872 über Röm. 12,1-6 gehalten wurde:
¨Heiliger Gott! Lob, Dank und Preis Sei dir, vom Kinde bis zum Greis, für dies dein Haus gesungen! Du hast's geschenkt und auferbaut, dir ist's geheiligt und vertraut mit Herzen, Händen, Zungen. Ach hier Sind wir noch in Hütten, Herr, wir bitten, stell uns droben in den Tempel, Dich zu loben. Amen.
Meine verehrten Freunde! Die erste Predigt, welche in dieser neu erbauten Kirche zu ihrer festlichen Einweihung gehalten wird, hat offenbar dies zu ihrer nächsten Aufgabe, die Gedanken auszusprechen, mit denen die christliche Gemeinde, der ihr angehört, dies ihr Gotteshaus betritt, und den Empfindungen und Gefühlen, die euch heut hierher begleitet haben, Worte zu geben.
Nach jahrelanger Entbehrung öffnet nun heut dies wohl bereitete Gebäude seine geheiIigten Räume und nimmt euch auf, und mit euch die theilnehmenden Freunde von nah, und fern, welche gekommen sind, um nach dem Worte Jesu sich zu freuen mit euch, den Fröhlichen, um Genossen und Gehilfen eurer Freude zu sein an diesem Fest, dem Ehrentage eurer Gemeinde.
Manches Überlegen, manche Sorge und manches Opfer hat es gekostet, ehe dieses Haus fertig wurde, und dass es fertig Wurde.
Zu der schweren Zeit, welche aller Orten auf unsren Colonien lag, kam für euch noch die besondere Sorge, an die Stelle des früher leicht aufgeführten und vom Sturme niedergeworfenen, ein neues für grössere Dauer berechnetes Gotteshaus zu gründen.
Aber heute vergesst ihr das alles, was dahinten liegt, heut heben sich eure Herzen aus dunkeln Sorgen und Seufzern zu heller, ungetrübter Freude über das vollendete Werk, und es treibt euch einzustimmen in das herzenswarme Wort des Psalmisten: Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses.
Ob eure Liebe eine warme und lebendige , ob eure Freude an diesem dem Gottesdienste geweihten Hause eine würdige sei, das bleibt immer und besonders am heutigen Tage eine ernste Frage.
Wir werden sie, uns zum Heile, Gott zur Ehre, erst dann befriedigend beantworten, wenn Wir nach dem Worte des Apostels uns zur Klarheit bringen, welches da sei der Christen vernünftiger Gottesdienst nur aus klarer Erkenntniss des göttlichen Willens hervorgehen kann, und wie er in und ausser der Kirche im Geist lebendig sich kundgibt.
Um ein Gebäude sicher und für die Dauer aufzuführen, dazu ist zuerst nöthig, dass ein guter Grund gelegt werde. Darum mahnt der Apostel, vor allen Dingen zu prüfen, welches da sei der gute und wohlgefällige und vollkommene Gotteswille, denn nur aus einer solchen klaren Erkenntnis kann ein vernünftiger, dem göttlichen Wesen und unserer eigenen Natur angemessener Gotterdienst hervorgehen.
Nun ist unter euch wohl Niemand, der nicht die heiligen 10 Gebote Gottes kennte, und es könnte fast scheinen, als wäre eine weitere Prüfung, was denn Gottes Wille sei, überflüssig, und doch mahnt der Apostel dazu, und für wie wichtig und schwer er sie hält, das geht daraus hervor, dass er als nothwendige Bedingung einer solchen erfolgreichen Prüfung eine gãnzliche Änderung und Erneurung der Gesinnung fordert, denn um sich einen klaren geistigen Blick zu schaffen und zu sichern, muss mann ja doch wohl alles, was ihn trübt, was ihnen seiner Thätigkeit hindert, hinwegschaffen und unterdrücken, so namentlich den Aberglauben, der den Verstand verdüstert, die Leidenschaften, die das Herz aufrühren und durchstürmen, die Schlaffheit, die entmannende Willenlosigkeit, der ein träges Pflanzenleben genug thut.
Wie aber soll ich bei dieser Prüfung des gõttlichen Willens zu Werke gehen? Ich weiss wohl, der Wille Gottes muss seinem Wesen genau entsprechen; der Heilige kann nichts Unheiliges, der Gerechte keine Uugerechtigkeit, der Ewige und Unveranderliche nicht heut das und morgen jenes, nichts Hin — und Herschwankendes, der Allbarmherzige keine Lieblosigkeit, keinen Hass, keine Verfluchung und Verfolgung, keine Gleichgültigkeit wollen und fordern.
Aber bei all dem ist das Wesen des Unerforschlichen so unerreicht hoch über Allem, was mein Verstand wie Vemunft erfassen kann, dass es mir nie zum vollkommen klaren Bewusstsein kommen wird.
Wohl, mein Christ, doch du weisst aus der Schrift: Gott schuf den Menschen nach seinem Ebenbilde, du weisst auch, dass die Sünde es ist, welche dieses göttliche Ebenbild verunstaltet und befleckt; je ernster und kräftiger du also an der Reinigung deines Innern, an der Erneuerung dentes Sinnes, an der Heiligung arbeitest, desto reiner wird auch das göttliche Ebenbild wieder in dir hervortreten, desto deutlicher wird es dir also auch werden, was Gott will.
Darum spricht Christus, unser Erlöser: Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen! Darum spricht Paulus an anderer Stelle: Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung.
Es is nun nicht zu leugnen, so einfach und leicht zu verstehen der Wille Gottes gewöhnlich ist, da er ja auch den Heiden, die das Gesetz nicht kennen, ins Herz geschrieben ist, da ja die Gedanken, die sich untereinander anklagen und entschuldigen, an keinem sich unbezeugt lassen, der sie nicht gefliessentlich zum Schweigen bringt: so können wir doch zuweilen in den Fall kommen, dass ein Streit verschiedener Pflichten aufzutreten scheint, und dass dadurch der Gewissenhafte wohl zu der ängstlichen Frage sich gedrängt sieht: Was ist hier der Wille Gottes?
Die Antwort: Das Schwerste ist nicht immer das richtige. Aber wissen wir, dass der heilige und vollkommene Gott in sich selbst eins ist, so wissen wir auch: Er kann immer nur Eins fordern. Die Liebe lehret dich, dies Eine zu finden:
Das ist es, was von ihr am unmittelbarsten ausgeht, was den gütigen Vater am schönsten verherrlicht, was den Brüdern am gewissensten nützt, was dich über kleinliches Rechnen am weitesten erhebt, was du an Andern, wenn sie es an deiner Stelle thäten, am höchsten schützen würdest, das ist es; so folgeder Liebe und zweifle nicht; sie leite dich bei der Prüfung, dann stösst nichts die Überzeugung in dir um, der Gott, der die Liebe ist, kann nur eine solche Erneuerung des Sinnes fordern, welche aus ihr hervorgeht, in ihr Kraft gewinnt und zu ihr hinführt.
Ja, der Gottesdienst, der aus solcher Prüfung, aus solcher Kenntniss des gottlichen Willens hervorgeht, o, möge diese Kirche ihm und keinem andern für alle Zeiten geweiht sein, er kann, er wird, er muss ein vernünftiger sein.
II
Wie aber wird sich ein solcher aussem und kundgeben?
Das ist unsre zweite Frage, und wenn wir an das Wort Christi denken: Sie werden euch in den Bann thun, es kommt aber die Zeit, dass wer euch tötet, wird meinen, er thue Gott einen Dienst daran; solches aber Werden sie darum thun, dass sie weder meinen Vater noch mich erkennen! Wenn wir an dies tausendmal wahr gewordene Wort denken, dann werden wir es uns nicht wegleugnen können, dass diese Frage namentlich auch am Tage der Einweihung eines neuen gottesdiesnstlichen Gebãudes, mit der ernstesten Aufmerksamkeit behandelt zuwerden verdient; und unser Text gibt uns ja zu ihrer Beantwortung eine so schöne und befriedigende Anleitung.
Auf vier Ausserungen eines vernünftigen Gottesdienstes macht er uns aufmerksam, die leibliche Aufopferung, die Demuth, die Treue im Beruf und die thätige Liebe.
Zuerst ruft er uns zu: Gebet eure Leiber hin zu einem lebendigen, heiligen und Gott wohlgefülligen Opfer. Nicht Fasten und Kasteien sind ein solches Gott wohlgefülliges Opfer, aber noch weniger Fressen und Saufen; nicht die Ausrottung natürlicher Triebe, aber noch weniger deren unmässige, viehische Befriedigung. Nicht das Kirchengehen allein macht den vernünftigen Gottesdienst aus, aber opfert es auch nicht eurem Bequemlichkeit und Weichlichkeit auf; bringt mit eurem Leibe wenigstens das Opfer, dass ihr nicht jeden ungünstigen Wind, jedes unfreundliche Wetter, jedes trübe Gewölk jede noch so geringfügige Störung in der Häuslichkeit zum Vorwande, zur Ausrede vor euch selbst braucht, um den Besuch des Gotteshauses zu versäumen , wührend euch das Alles doch nicht von dem Besuche andere, dem Vergnügen Orte abhält.
Freilich glauben viele, nicht den Leib, sondern ihren hochgebildeten Geist zum Opfer zu bringen, wenn sie die Kirche einmal besuchen. Es sind gewöhnlich solche, die nach den Worten unsres Textes höher von sich halten als sich's gebührt zu halten. Für das gewöhnliche Volk ist so etwas, eine Predigt und öffentlicher Gottesdienst, ganz gut und heilsam, aber wir brauchen das nicht, wir können dort nichts mehr lernen, nichts Neus mehr hören, wir langweilen uns und können unsre Zeit angenehmer verwenden.
Und doch, mein Christ, hier, wo Hunderte in gemeinsamen Aufblick zu Gott ihre Knie beugen, ihren Geist in heiliger Ruhe sammeln, hier wo Herr und Diener, Frau und Magd, Vomehm und Gering, Reich und Arm gleichberechtigt dastehen, hier wo Gottes Wort lauter und rein geprediget, der Sünder gestraft, die Tugend ermuthigt, die Leiden getröstet, die Freude geheiligt wird, hier kannst auch du immer noch lernen.
Freilich bist du vielleicht klug genug, dir das Alles selbst und besser sagen zu können, was du von der Kanzel verkündigen hörst; aber der Mensch, der mit und unter Menschen leben soll und muss, wenn er nicht untergehen soll, er fühlt erst in Gemeinschaft mit Andern seines Geschlechts sich beruhigt, erst in Verbindung mit seinen Brüdern sich als Kind Gottes. Lassen ihm doch auch die weltlichen Sorgen sonst nur selten Zeit, sich allein mit dem Heiligen zu beschüftigen, sehnt er sich doch nach Aufklärung über so manchen Zweifel, nach Ruhe in so manchem Sturme, nach Frieden in so manchem Kampfe.
Ja, auch aus der schlichtesten und einfachsten Erklärung des göttlichen Wortes kann ein Jeder noch etwas lernen, und wäre es auch nichts weiter, als das eben auch die Demuth zu einem vernünftigen Gottesdienste gehört. Und ist es denn anders denkbar, muss nicht der, welcher Gottes Wesen und was sein guter und wohlgefälliger und vollkommener Wille sei, mit Ernst und , Klarheit geprüft hat, muss er nicht mässiglich von sich halten? Muss er nicht als ein nur schwaches und schwächliches Glied an dem grossen Körper der Gemeinde Christi fühlen? Muss er vor dem grossen und heiligen Gott nicht in diesem Gefühle sich alsbald beugen und knieend niederfallen mit dem Bekenntniss:
Vor dem Gerechten besteht Keiner, auch nicht Einer!
Mancherlei Gaben hat der Herr ausgetheilt nach seiner unerschöpflichen Gnade, aber wo ist die treue Benutzung derselben, wo ist die Treue im irdischen und himmlischen Berufe, durch welche wir ihm dienen? Denn nicht bloss die Kirche ist dem Gottesdienste geweiht, mein Christ, nein auch dein Haus und deine Werkstatt und dein heimathlicher Herd. Da thue, was das Amt deines Geschäftes ist, gewissenhaft, da wirke, solange dir der Tag des Lebens dauert, da hüte deinen Mund und deine Hand und deinen Fuss vor Allem, was wider Gottes Gebote ist, da arbeite an deiner Heiligung in Gedanken, Worten und Werken, da wachse immer inniger, immer fester an den Weinstock Christi, an dem auch du eine Rebe bist.
Liebe, thätige Liebe, so haben wir den Kreis geschlossen und sind zu dem Punkte zurückgekommen, von dem wir ausgingen, Liebe sei der Gottesdienst, dann sind wir Viele ein Leib in Christo, und jedes Glied, sei es auch noch so klein und niedrig, gehört zum volkommenen Zustande des ganzen Körpers; eng bist du mit ihm verbunden, so entziehe dich nicht, sondem schaffe aus reinem Herzen um Gottes Willen, was du kannst, zur erhöhten Lebensthatigkeit, zum innigen, einigen Ineinandergreifen Aller.
Das ist ein Gottesdienst, dem Herrn angenehm, ihm sei dies Haus geweiht. Amen¨.
Voltar para o índice O Caminho Agosto 1987