Predigt am Reformationstag 2017 in der Wittenberger Schlosskirche - Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche i

31/10/2017

 

Predigt am Reformationstag 2017 in der Wittenberger Schlosskirche
Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland

VORLESEN

Röm 8,26: „Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.“

Liebe Gemeinde,
es war ein Akt der Befreiung, als der Augustinermönch Martin Luther heute vor genau 500 Jahren hier in Wittenberg, vielleicht sogar wenige Meter von hier an der Tür zu dieser Kirche, seine 95 Thesen veröffentlichte. Es war für ihn persönlich ein Akt der Befreiung. Der Befreiung von der Angst vor einem Gott, der mehr fordert als ein Mensch erfüllen kann. Der Befreiung von dem Zwang, sich sein Heil verdienen zu müssen.

Es war aber auch ein Akt der Befreiung für die Kirche. Es war ein Weckruf an seine katholische Kirche zur religiösen Erneuerung. Luther wollte keine neue Kirche gründen, sondern die Kirche Jesu Christi wieder zurück zu ihrem Herrn rufen.

Es war aber auch ein Akt der Befreiung für die Welt. Dass an die Stelle des Diktats von Macht und Geld eine neue Freiheit trete, die sich in der Liebe zeigt.
Mit Gott und der Welt hadern und aus tiefer Verzweiflung befreit werden – für Martin Luther hatten diese Worte des Paulus aus seinem Brief an die Römer, eine sehr konkrete persönliche Bedeutung: „Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt, sondern der Geist selbst tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.“ So haben wir es gehört.

Und nun sitzen wir hier 500 Jahre später als Menschen in einem Land, das ebenfalls mit sich ringt. Als ein Land, das so gesegnet ist wie nie zuvor. Als ein Land, das ein beeindruckendes Maß an Empathie gezeigt hat. Als ein Land, das viele Anstrengungen unternommen hat, auch moralische Anstrengungen. Und zugleich als ein Land, in dem manche sich moralisch überfordert fühlen. Als ein Land, in dem Menschen Angst haben, ihre gewohnte Welt zu verlieren, ihre Sicherheit zu verlieren. Als ein Land, das sich nach Heimat sehnt.

Als ein Land, das deswegen die reformatorische Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Gnade so dringend braucht!

Weder Obergrenzen für die Unterstützung von Menschen in Not helfen diesem Land noch moralische Durchhalteparolen. Was dieses Land braucht, ist eine neue innere Freiheit. Was dieses Land braucht, ist eine Kraft, die die Angst überwindet und die Liebe stärkt. Was dieses Land braucht, ist der Geist, der der Schwachheit aufhilft. Was dieses Land braucht, ist die Rechtfertigung allein aus Glauben und nicht aus den Werken.

Woher kann eine neue innere Freiheit kommen; und eine neue Zuversicht für unser Land in aller Unterschiedlichkeit der Lebensentwürfe und Orientierungsquellen?

Wir Christen sind auch heute viele, und die Botschaft von der Vergebung und Liebe, die uns trägt, kann auch heute noch unsere Gesellschaft mitprägen. Wir haben uns dem im zurückliegenden Jahr in einem Maße gewidmet wie selten zuvor. Wir wollten im Blick auf Martin Luther keine Heldenverehrung. Und wir haben gegenüber unseren jüdischen Brüdern und Schwestern unsere Scham über die Hetzreden Martin Luthers gegen die Juden zum Ausdruck gebracht und um Vergebung gebeten. Wir haben die Intoleranz gegenüber den Täufern und anderen damals verfolgten Gruppen beim Namen genannt. Wir haben die Herabsetzung der anderen christlichen Konfessionen als Schuld bekannt und um Vergebung gebeten. Und wir haben laut gesagt, was wir heute an ihnen lieben.

Wir haben neu verstanden, dass Christus nicht zerteilt ist und deswegen auch seine Kirche nicht länger getrennt sein darf. Und niemand soll meinen, wir ließen uns von dem Weg hin zur sichtbaren Einheit in versöhnter Verschiedenheit abbringen. Auch Rückschläge werden uns nicht davon abhalten, diesen Weg weiterzugehen. Und ich danke meinem Bruder in Christus Kardinal Reinhard Marx und allen, die sich mit ihm zusammen für die Einheit der Christen einsetzen, für allen Mut, für alle Geschwisterlichkeit, für alle Freundschaft. Und ich rufe am 500. Jahrestag der Reformation von Wittenberg aus dem Papst in Rom zu: Lieber Papst Franziskus, Bruder in Christus, wir danken Gott von Herzen für dein Zeugnis der Liebe und Barmherzigkeit, das auch für uns Protestanten ein Zeugnis für Christus ist. Wir danken für deine Zeichen der Versöhnung zwischen den Kirchen. Und wann immer du einmal hierher nach Wittenberg kommst, dann werden wir dich ein halbes Jahrtausend nach der Verbrennung der Bannbulle von ganzem Herzen willkommen heißen! Wir wollen mit Christus reden und dann mutig voranschreiten. Wir vertrauen darauf, dass der Geist unserer Schwachheit hilft!

LIED „Komm, Heiliger Geist“

Die Welt braucht das gemeinsame Zeugnis von Christus so dringend! Das Zeugnis, das wir als Kirchen geben können, ist kein aufdringliches Zeugnis. Auch die Kirche bleibt eine bittende Kirche. Sie weiß es nicht besser. Sie ringt und seufzt an der Seite der Menschen dieser Welt und bittet um Gottes Geist und Wegweisung. Und um seine Kraft und seinen Segen. Lasst uns mithelfen, dass unser Land spürt, wie gesegnet es ist, und: neue Zuversicht gewinnt!
Die Überzeugungen, die zum reformatorischen Kernbestand gehören, sind heute genauso wie damals segensreiche Kraftquellen für eine lebenswerte Gesellschaft.

Zentrale Glaubensüberzeugung ist das Leben allein aus Gnade. Es ist das Bewusstsein für den unendlichen Wert eines jeden Menschen. Jeder Mensch ist geschaffen zum Bilde Gottes. Keiner muss sich seine Würde erst verdienen. Nicht durch wirtschaftliche Leistung. Aber auch nicht durch moralisches Wohlverhalten. Sie ist unantastbar. Nicht dass schon die Kinder im Kindergarten fit gemacht werden für die Globalisierung, macht unsere Stärke als Land aus, sondern dass sie tief in der Seele spüren, wie kostbar ein jeder und eine jede von ihnen ist.

Als weitere Glaubensgewissheit haben die Reformatoren das alte Wort „Buße“ verwendet. Die erste der 95 Thesen ist eine These über die Buße: „Weil unser Herr und Meister Jesus Christus gesagt hat ‚Tut Buße‘, deswegen soll das ganze Leben der Gläubigen Buße sein.“ Diese Worte rufen zu einem Innehalten auf, zu einer Selbstbesinnung, zu einer Selbstdistanz, die nicht nur jedem einzelnen Menschen guttut, sondern auch einem ganzen Land. Gehen wir eigentlich in die richtige Richtung? Was ist los mit uns, wenn wir im Internet hemmungslos Hass und Hohn aufeinander ausgießen? Welches Verständnis von politischer Debatte haben wir, wenn wir nur noch einen Blick für den Splitter im Auge der anderen haben und den Balken im eigenen Auge gar nicht mehr sehen? Wo sind die blinden Flecken in unserem Selbstbild als Land, wenn wir uns als Wohltäter für die Welt sehen und kaum noch wahrnehmen, wie sehr unser Wohlstand auf Kosten anderer geschaffen wird? Die ersten Opfer des von uns verursachten Klimawandels sind genau die Menschen, die am wenigsten dazu beigetragen haben.

Ja, Buße und die daraus erwachsende Demut tut einem Land gut!

Herzstück der reformatorischen Glaubensüberzeugung ist die der Freiheit. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heißt die wichtigste Schrift Martin Luthers. Und Freiheit ist eines der Megathemen unserer Zeit heute. Ist Freiheit die Freiheit von jeder Verpflichtung? Ist Freiheit die Möglichkeit zwischen Tausend Optionen zu wählen? Oder ist Freiheit die innere Kraft, auch gegenüber äußeren Autoritäten seinem Gewissen zu folgen , weil nichts uns trennen kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist unserem Herrn – wie es der Apostel Paulus gesagt hat? Auch hier hilft der Geist unserer Schwachheit auf, denn: Wo der Geist der Herrn ist, da ist Freiheit! Für seine Überzeugungen einzustehen, sich nicht aus der Wut, sondern aus innerer Freiheit in die öffentlichen Debatten einzumischen, diese Haltung braucht unser Land. Diese Freiheit tut unserem Land gut!

Von diesem Ort, hier von Wittenberg, ging eine spirituelle Erneuerung aus; für Menschen in Deutschland, Europa und weltweit. Männer und Frauen. Menschen aus allen sozialen Schichten. Der heutige 500. Jahrestag der Reformation ist daher für mich ein Tag der Dankbarkeit. Dankbarkeit für die religiösen Erneuerungsimpulse, die aus der Reformation gekommen sind und bis auf den heutigen Tag ihre Wirkung entfalten. Dankbarkeit, dass aus den Konflikten und Kriegen zwischen den Konfessionen in der Vergangenheit heute Versöhnung, Verstehen, ja Freundschaft geworden ist und weiter wird. Und die Hoffnung, dass daraus auch ein Zeichen werden könnte für die Welt - für eine Welt, die von Konflikten und Spaltungen bedroht ist. Ich bitte Gott an diesem Tag, dass er uns die Kraft schenken möge, diesen Weg weiter zu gehen und uns damit das schenken möge, was für die Kirche der Zukunft das Wichtigste ist: dass wir die Liebe selbst ausstrahlen, von der wir sprechen

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
AMEN

 

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