Markus 13.1-8

Predigt

18/11/2012

PREDIGT zu Markus 13,1-8
Canoas, 25. Sonntag nach Pfingsten, 18. November 2012

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus! (Röm 1,7)

Liebe Gemeinde,

Es ist die Rede von Ende und Gericht in diesem und den anderen Texten, die wir gehört haben – dem Wochenspruch aus dem 2. Korintherbrief ebenso wie aus dem Brief an die Hebräer. Kein schönes Thema, so scheint es, für einen sonnigen Frühlingssonntag, bei dem man doch zunächst einfach an den Strand würde denken wollen. Wirklich von apokalyptischem Feuer träumen kann man wohl nur im mittlerweile eiskalten Europa. Oder?

Verschiedene Visionen über die Endzeit sind derweil durchaus auch bei uns vorhanden, wir begegnen einigen von ihnen tagtäglich. Ich will zwei kurz skizzieren und dann zu einer dritten, vielleicht interessanteren Position weitergehen.

I. Die große Endschlacht

Als ich so um die sechzehn war [1983], las, ja vertilgte ich ein Buch über das Ende der Welt. Darin waren schon erfolgte und noch erwartete politische Ereignisse aufgelistet, die Hinweise auf die große Endschlacht sein sollten, nach derer Jesus sein Reich aufrichten würde. Wir waren ja noch voll im kalten Krieg, die Welt war geteilt zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen, der Sowjetunion und ihren Verbündeten auf der anderen Seite. In Brasilien ging die Militärregierung ihrem Ende zu, Sie erinnern sich. Natürlich waren immer die Anderen die Bösen, und die Eigenen die Guten. Wie in den USA und vielen anderen Orten galt auch hier in Brasilien jeder, der etwas politisch oder sozial verändern wollte, als Kommunist – ganz egal, ob er irgendeine Vorstellung davon hatte, was das eigentlich sei, ein Kommunist... Weltverbesserer sind Subversive und darum Kommunisten, und müssen deswegen bekämpft werden, das war die Devise. Gerade auch deswegen, weil die Kommunisten ja Atheisten seien, also Ungläubige, und darum eine Bedrohung für den Glauben. Auch in dem Buch, das ich damals las, war vorgesehen, dass ein „Volk aus dem Norden“ (cf. Jer 50.3) zur grossen Endschlacht nach Israel ziehen würde. Jeder wusste damals, dass hier nur die Sowjetunion, für viele das „Reich des Bösen“ gemeint sein konnte. Sie lag ja von Israel aus gesehen im Norden.

Ja, das Ende ist nahe, so meinte das Buch. Und ich war tief beeindruckt. Allein, mir fehlte der Glaube, dass dies wirklich alles so sein würde. Und in der Tat, es sollte nur noch wenige Jahre dauern, und die Weltkarte würde völlig neu gezeichnet. Keine Sowjetunion mehr. Keine zweigeteilte Welt mehr. Keine Bösen dort und Guten hier. Vielmehr eine schwer zu entziffernde Gemengelage zwischen Gut und Böse, wie im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen – würde man das Unkraut auszumerzen beginnen, würde man unweigerlich auch den Weizen mit ausreissen. Also besser beides zusammen wachsen lassen, der Herr der Ernte wird dann letztlich die Unterscheidung vornehmen (Mt 13,24-30). Die Welt ist nicht schwarz und weiß, sie besteht vielmehr aus allerlei Grautönen, und Gutes und Böses leben zusammen, miteinander, nebeneinander, ineinander. Das macht uns die Sache nicht einfacher, aber es ist eine realistischere Sicht. Und doch: es gibt sie noch, die schwarz-weiße Vision, für die das Ende nahe ist und die Erwählten jäh dieser Welt entrissen werden. Darum die Aufkleber an einigen Autos: „Achtung, wenn plötzlich die Entrückung sein sollte, ist dieses Fahrzeug ohne Fahrer!“ Nun, wenn es denn je so kommen sollte, sollte der nachfolgende Autofahrer dies je lesen können, würde ein Zusammenstoss mit dem jetzt fahrerlosen Auto vor ihm unmittelbar bevorstehen. Ein vielleicht tödlicher Unfall wäre die Folge. Über Entrückung nachzudenken bleibt ihm dann kaum Zeit mehr. Keine schöne Aussicht; vielleicht auch keine wahre Aussicht.

II. Die geistliche Schlacht im Hier und Jetzt

Auch heute ist freilich noch und wieder von einer grossen Schlacht die Rede. Dies ist die zweite Position. Es ist keine kriegerische Schlacht, mit Waffen und Blut, obwohl es diese ja auch und immer noch viel zu viel gibt. Vielmehr geht es um eine „geistliche Schlacht“ (batalha espiritual) zwischen Jesus und den Dämonen, zwischen Gott und dem Teufel. Die Siegreichen, deren Glaube genügend stark ist und die diesen Glauben durch erkleckliche Geldzahlungen an ihre Kirche auch zu beweisen bereit sind, werden dafür von Gott unglaubliche Vorzüge erhalten. Gott kann nicht nur, er muss ihnen diese Glaubensinvestition vergelten. Dies ist das sogenannte „Wohlstandsevangelium“ (evangelho da prosperidade). Wer so glaubt, so wird gesagt, kann wahrhaft Berge versetzen. Interessant ist, dass diese Kirchen, Prediger und Gläubigen gerade nicht ein endzeitliches Ereignis von aussen erwarten, sondern die Veränderung im Hier und Jetzt. „Pare de Sofrer“, ist das Motto, „kein Leiden mehr“ – jetzt, sofort. Eine dieser Kirchen baut zur Zeit eine Replik des jüdischen Tempels, mit großen Steinen aus Israel – aber nicht in Jerusalem, sondern in São Paulo. 70.000 qm groß, 58 Meter hoch. „Was für Steine und was für Bauten!“ (Mk 13,1) möchte man mit dem Jünger im Markusevangelium bewundernd ausrufen. Und zugleich daran denken, wie Jesus antwortete: „Siehst du diese grossen Bauten? Nicht ein Stein wird auf dem anderen bleiben, der nicht zerbrochen werde“ (Mk 13,2). Die menschlichen Projekte sind endlich und beschränkt. Sie können das Reich Gottes nicht herbeizwingen. Der Verführer freilich, vor denen Jesus warnt, gibt es viele. Und sie sind nicht etwa außerhalb, sondern innerhalb der Gemeinde zu suchen. Sie sagen: „Ich bin’s“, also „Ich bin der Messias, der Christus“, auch wenn sie es nicht unbedingt wörtlich so sagen.

Der damalige Tempel in Jerusalem wirkte, so berichtet uns der jüdische Zeitgenosse Flavius Josephus (Bell. V, v, 6), von weitem wie ein schneebedeckter Berg mit seinen Goldteilen und dem blendenden Weiß der riesigen Steine. Ich zweifle nicht daran, dass dies beim neuen Tempel ebenso sein wird – er wird leuchten inmitten der braunen, verpesteten Luft São Paulos. Und doch sagt Jesus eben „Nicht ein Stein wird auf dem anderen bleiben“ (Mk 13,2). Tatsächlich wurde der damalige Tempel später zerstört, im Jahre 70 n. Chr. durch die Römer, aber durch Feuer und nicht durch Abbruch Stein für Stein. Markus hat die wirkliche Tempelzerstörung womöglich also nicht gekannt. Aber er wusste, dass der damalige Kampf um den Schutz des Tempels und die Vertreibung der Römer, der jüdische Krieg, ein sinnloser Kampf war. Nicht dort wird der Messias erscheinen, nicht auf dem Tempelberg, sondern auf dem gegenüberliegenden, höheren Ölberg. Genau dort setzt sich Jesus im kleinen Kreis mit seinen Vertrauten hin, mit „Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas“ (Mk 13,3). Auf dem Ölberg nämlich wurde seit Hesekiel mit dem Eingreifen des Messias gerechnet. Also: kein revolutionäres Programm mit Verteidigung des Tempels. Aber auch kein unterdrückerisches Programm mit Zerstörung des Tempels durch Feuer. Vielmehr der Hinweis darauf, dass nicht wir, die Menschen es sind, sondern Gott der ist, der sein Reich heraufführt. Viel Schreckliches geschieht und wird noch geschehen. Dazu sagt Jesus: „Es muss so geschehen. Aber das Ende ist noch nicht da.“ Kriege, Hungersnöte, Erdbeben, sagt Jesus, sind nur „der Anfang der Wehen“.

Also doch ein Fahrplan? Wenn dies nur der Anfang ist, kommt es dann also immer schlimmer? Die Rede von Kriegen, Hunger und Naturkatastrophen, auch von Krankheiten wie der Pest, gehört zum apokalyptischen Vokabular. Das heißt, dass sie in vielen dramatischen Darstellungen einer Endzeit wiederkehren. Solche Texte werden geschrieben, wenn sich Menschen bedrängt fühlen und sehnlichst auf eine neue, bessere Situation hoffen. Die apokalyptischen Texte sprechen von einer Endzeit, lassen dabei aber konkrete Ereignisse, konkretes Leiden durchscheinen. Zur Zeit des Markus war dies der jüdische Krieg, eben zur Rettung des Tempels und zur Vertreibung der Römer (68-70), es gab Hungersnöte vor allem in den 50er Jahren unserer Zeitrechnung, Erdbeben und Vulkanausbrüche in Laodicäa und Pompeii zu Beginn der 60er Jahre (61-62). Man kann diese wie auch etwa die Johannes-Apokalypse, das Buch der Offenbarung, so lesen, dass hier weniger von einer schlimmen Zukunft die Rede ist, sondern dass der Blick freigelegt wird auf das Leiden der Gegenwart. All diese schrecklichen Dinge gibt es schon. Aber sie sind noch nicht das Ende. Ja, Himmel, was soll denn noch kommen?, mögen wir uns erschrocken fragen.

III. Der Kairos im Chronos

Nun, und hier kommt also die angekündigte dritte Position, die ich interessanter finde als den Fahrplan der Endzeit mit der Kriegsschlacht oder das sofortige Ende des Leidens durch die geistliche Schlacht: Die Endzeit ist keine chronologische Zeit, keine mit Schweizer oder deutschen oder auch brasilianischen Uhren gemessene Zeit. Sie ist vielmehr eine kairologische Zeit. Kairos ist die rechte Zeit, und sie wirkt und besteht im Chronos. Wichtig ist also nicht die Erwartung von zukünftigen Ereignissen, die auf das Weltende hinführen, sondern das Entziffern der Zeichen der Gegenwart Gottes im Hier und Jetzt. Zugleich entziehen sich diese Zeichen jedoch unserem Zugriff – sie sind eben Zeichen, Anzeichen, Vorzeichen, und nicht schon die volle Gegenwart. Die Gegenwart Gottes und unsere Zeit, Kairos und Chronos sind miteinander, nebeneinander, ineinander verwickelt. Wir leben in dieser ständigen Spannung zwischen der Gegenwart und der Abwesenheit Gottes. Unkraut und Weizen gibt es zur gleichen Zeit. Wir alle sind Sünder und Gerechte zugleich, wie Luther sagte, Sünder durch unsere Taten und Gerechte in der Hoffnung auf den, der uns gerecht macht, Jesus Christus. Das ist doch ein sehr realistisches Bild: unsere Welt ist, wie ich schon sagte, nicht schwarz oder weiß, sondern hat viele Grautöne. Das sage ich aber nur so, weil Grau die Mischung von Schwarz und Weiß ist. Die Welt ist natürlich, und gottlob, auch rot und gelb und grün und blau und was alles mehr – gar lila vielleicht, die Lieblingsfarbe meiner zehnjährigen Tochter, mit der sie unbedingt ihr Zimmer neu malen will. „Parousia“, Parusie, der Ausdruck für das Kommen Christi, seine Wiederkunft, wie man oft sagt, hat zunächst gar nichts mit Zukunft zu tun, sondern heißt einfach „Gegenwart“. Christus ist hier, in ihm ist Gott gegenwärtig, wie wir am Anfang gesungen haben. Luther wusste, dass Gott uns diese Gegenwart sowohl gibt als auch entzieht. Warum, könnten wir uns fragen, entzieht er sie? Warum gibt er sie nicht ganz? Weil er frei ist, und weil darum und dadurch auch wir frei sind. Gott entzieht sich unserem Zugriff. Wir können ihn nicht besitzen, nicht manipulieren. Gott ist nicht auf unserer Seite gegen die, die wir für böse halten. Er ist auch nicht auf der Gegenseite. Er ist dort, wo er sein will, ja dann sogar auf der Gegenseite. Der große Schweizer Theologe Karl Barth wurde einmal von einer älteren Dame gefragt, ob sie denn im Himmel ihre Freundinnen wiedertreffen werde. Ja, sagte Barth, das werden Sie, aber auch ihre Feinde.

Gott unterwirft sich nicht unseren Zuschreibungen. Darum führt ein Fahrplan der Endzeit ebenso ins Leere wie ein erzwungenes Ende des Leidens im Hier und Jetzt. Gott lässt sich nicht von uns manipulieren. Er ist aber auch nicht fern, sondern im Verborgenen gegenwärtig – in Christus durch den Heiligen Geist. Der Geist läßt uns die Gegenwart Christi spüren, entdecken. „Wachet“, sagt Jesus immer wieder in den folgenden Versen im Markusevangelium, die wir nicht gelesen haben. Seid bereit! Seid aufmerksam, könnten wir auch sagen, auf die Zeichen der Gegenwart Gottes – auf die Zeichen der Liebe und der Solidarität inmitten von Kampf und Zerstörung etwa. Auf die vielleicht kleinen, aber doch vorhandenen Zeichen der Hoffnung inmitten des Kriegs der Drogenbanden in Rio oder der gegenwärtigen Schlachten in São Paulo und Florianópolis. Seid aufmerksam auf die Zeichen des Widerstands gegen die Verbilligung des Lebens, die wir so oft um uns herum antreffen, wo der Finger am Abdrücker einer Pistole sehr schnell ist. Mehr als die Hälfte, manchmal weit mehr als die Hälfte der Mordfälle in unserem Land sind die Folge von Streitereien, die bestens mit etwas Ruhe und gutem Willen gelöst werden könnten. Doch scheint der Stress, die Wut so groß zu sein, dass sie den Tod des anderen in Kauf nimmt. Dies gehört zu unseren tagtäglichen Wehen.

Gott ist dort gegenwärtig, wo Zeichen gegen diesen schnellen Tod gesetzt werden. Wo aufgebaut statt zerstört wird, wo Beziehungen geschaffen statt beendet werden. Luther sah in den Zeichen, in denen der irdische Friede befördert und das menschliche Geschlecht „gemehrt und genährt“ wird, Gottes Macht und Weisheit gegenwärtig. Vielleicht sollten wir also, statt die Zukunft fahrplanmäßig zu erwarten oder Gottes Gegenwart jetzt sofort herbeizuzwingen, eher die leisen Zeichen seiner Gegenwart inmitten der Wehen unserer Zeit sehen lernen – wie bei Elias am Horeb. Ich schließe mit den Versen aus dem Hebräerbrief, die wir in der Lesung gehört haben: „Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und lass uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken“ (Hebr 10.23-24).

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. (Phil 4,7) Amen.

Pfr. Dr. Rudolf von Sinner
Faculdades EST
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Autor(a): Rudolf von Sinner
Âmbito: IECLB
ID: 23298
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Essa esperança não nos deixa decepcionados, pois Deus derramou o seu amor no nosso coração, por meio do Espírito Santo, que Ele nos deu.
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