Predigt über Eph. 4,1-6, gehalten am 14.11.99 in der Schweinfurter Johanniskirche
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
Liebe Gemeinde,
Der Brief des Paulus an die Epheser unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von de übrigen Sendschreiben des Apostels: Er befasst sich mit keinem besonderen Anlass in der Gemeinde. Er ist mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht an die Epheser gerichtet. Der Zusatz „an die Heiligen zu Ephesos findet sich in den ältesten Exemplaren nicht. Vielmehr scheint es sich um eine Art Hirtenbrief an die Gemeinden Vorderasiens zu handeln, in denen Paulus (oder einer seiner Schüler) allgemeine Verhaltensregeln niederlegt, die im Zusammenhang mit der Oikodomia, dem Gemeindeaufbau, stehen. Wir können ihn daher – im weiteren Sinne – als an uns selbst gerichtet betrachten. Und die in ihm enthaltenen Ermahnungen sind für uns in hohem Maße aktuell.
Ich spreche zu Ihnen als Vertreter des Stadtdekanats Rio de Janeiro, im fernen Brasilien. Rio de Janeiro und Schweinfurt sind durch etwa 10.000 km Entfernung voneinander getrennt. Aber auch durch andere Barrieren: die der unterschiedlichen Sprachen, die der völlig verschiedenen Kulturen, die der Unterschiede in der kirchlichen Praxis in weitestem Sinne. Und diese beiden Gemeinden wollen – über all diese Hindernisse hinweg – eine Partnerschaft aufbauen. Eine Partnerschaft, wohlgemerkt, nicht eine Patenschaft, bei der die Beziehung praktisch nur aus Geben und Nehmen besteht. Unser Wollen geht auf beiden Seiten des Atlantik weit darüber hinaus. Die Utopie unserer Partnerschaft ist der Traum von einer Großgemeinde – und wir haben auf dem Weg hin zu dieser Utopie schon eine beachtliche Strecke zurückgelegt. Den Ungeduldigen unter uns geht es zu langsam, aber wir dürfen nicht vergessen: das Reich Gottes hat seine eigene Zeitrechnung.
Was kann eine Partnerschaft dieser Art, unter diesen extrem ungünstigen Voraussetzungen, überhaupt ermöglichen? Nun, eine Antwort auf diese Frage gibt uns unser heutiger Text. So ermahne ich Euch nun, daß Ihr wandelt, wie sich’s gebühret Eurer Berufung zu der Ihr berufen seid... Das ermahnt uns zu der Ethik, die wir im Umgang mit unserer Umwelt und untereinander zu beachten haben; zur Freimütigkeit, zur Aufrichtigkeit, zur Transparenz. „In aller Demut, in Sanftmut, in Langmut; Bei Kontakten zwischen Vertretern der sogenannten „ersten und der „dritten Welt gerät man leicht auf das Gebiet der Polemiken, der Vorurteile, der Überheblichkeit auf beiden Seiten. „Uns geht es nicht so gut, wie Euch, weil Ihr uns seit Jahrhunderten ausgebeutet habe und noch ausbeutet, sagt die eine Seite. „Uns geht es besser als Euch, weil wir arbeiten, wo Ihr faul seid, weil wir nicht so korrupt sind, wie Ihr, entgegnet die andere. Daher: im Verkehr miteinander, innerhalb der eigenen Gemeinden und erst recht über trennende Faktoren hinweg, sollen wir Demut üben, zuerst den Balken im eigenen Auge sehen und dann erst das Stäubchen im Auge des Anderen rügen; sanftmütig sollen wir sein, taktvoll in unseren Äußerungen; in den Worten von Rm 14, „dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander; und schließlich sollen wir Langmut walten lassen, Geduld haben mit uns selbst und mit dem Anderen, wenn nicht alles gerade so schnell und glatt geht, wie wir gerne möchten. „Und vertraget einer den anderen in der Liebe... Die Liebe, die Nächstenliebe, von der Jesus gepredigt hat, sie ist eine besondere Art von Liebe. Wir sollen sie dem zuteil werden lassen, der unser Nächster ist, und das unabhängig davon, ob er uns passt, oder nicht. Die Liebe, die „agape, von der hier die Rede ist, ist nicht die übliche Liebe zwischen Verwandten, Freunden, Eltern und Kindern, Ehegatten. Wir sollen ja sogar unsere Feinde lieben. Kann man das denn überhaupt? – Man kann es, wenn man diese christliche Nächstenliebe recht versteht. Wenn einer unser Feind ist, dann sollen wir versuchen, seine Gründe zu verstehen, sollen suchen, was wir selbst zu dieser Feindschaft beigetragen haben, und sollen schließlich die Hand zur Versöhnung ausstrecken. Wenn jemand unserer Hilfe bedarf, so sollen wir sie ihm schenken, ohne von ihm zu verlangen, dass er deshalb seine eigene Persönlichkeit aufgebe und sich an unsere Regeln anpasse. „Und seid fleißig, zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens – Diese „Einigkeit im Geist beinhaltet nicht Gleichförmigkeit im Umgang mit unserer jeweiligen Umgebung, nicht Uniformität unserer kirchlichen und ethischen Praxis, es kommt hier nicht auf Äußerliches an; angesprochen ist Luthers „Ecclesia invisibilis, die Gemeinschaft der Heiligen in unserem Glaubensbekenntnis. Als Glieder dieser „Ecclesia invisibilis sind wir - bei allen Unterschieden in äußeren Dingen, in Sprache, Kultur, Lebensgewohnheiten – ein Leib und ein Geist, berufen zu einerlei Hoffnung, der Hoffnung auf das kommende Reich Gottes. Bei allem was uns trennt, haben wir doch „einen Herrn und einen Glauben und eine Taufe, sind also eins in dem, auf was es für uns in der Nachfolge Christi letzten Endes ankommt. Und vor allem: wir haben „einen Gott und Vater aller, der da ist über allen, und durch alle, und in allen, und als Kinder dieses einen Gottes sind wir Brüder und Schwestern, mögen wir noch so nahe beisammen oder noch so weit auseinander leben.
Wenn wir uns diese Ermahnungen des Apostels vor Augen halten, dann – meine ich – sollte es wohl keinen Zweifel geben, daß uns jedes Werk gelingen kann. Auch der auf Anhieb so wenig aussichtsvolle Plan, eine virtuelle Großgemeinde zu schaffen über alle Entfernungen, alle sprachlichen, kulturellen, politischen, ideologischen, ekklesiologischen Grenzen hinweg. Ebenso aber auch der Plan, in unserem eigenen, kleinen, engen Bereich christliche Gemeinde zu sein, nicht nur Sonntags im Gottesdienst, sondern auch im Familien- und Freundeskreis, im Beruf, im Umgang mit unseren Nachbarn.
Und wenn wir diesem einen Herrn uns verschreiben und diesen einen Glauben in uns hegen, dann sendet uns der eine Gott und Vater aller seinen heiligen Geist, um uns als Helfer und Tröster bei unserem Sinnen und Trachten zur Seite zu stehen. Möge der Herr unsere Wege allezeit begleiten und lenken, möge er unseren Gemeinden wie auch dem Vorhaben unserer Partnerschaft seinen Segen erteilen, uns lehren, das Falsche zu meiden und das Rechte stets zu tun. Darum bitten wir ihn im Namen unseres Herrn Jesu Christi.
Amen
Hermann Evelbauer - Rio de Janeiro