1 – Grundlagen
1.1 – Im Leib Christi sind die Glieder berufen, einander zu dienen. Sie leben in Gemeinschaft auf Grund des Glaubens an denselben Herrn und tauschen Gaben und Erfahrungen mit einander aus. Sie sind alle beauftragt, das Evangelium zu bezeugen und den Menschen in ihren Nöten beizustehen.
1.2 – Die IECLB ist Glied dieses Leibes. Sie ist ein Teil der weltweiten Kirche Jesu Christi. Sie entfaltet die Mission auf der Linie ihrer konfessionellen Tradition vorrangig in Brasilien. Doch weiss sie sich auch verpflichtet mit Brüdern und Schwestern anderer Kirchen, sei es im eigenen Land, sei es im Ausland.
1.3 – Kirchengemeinschaft vollzieht sich im gleichzeitigen Geben und Nehmen. Sie kann keine Einwegbahn sein. Alle Glieder des Leibes haben sowohl Fähigkeiten wie Schwächen, wenn auch in verschiedenen Proportionen. Das trifft auch auf die IECLB zu. Sie hat Gaben in die Partnerschaft einzubringen, ohne zu leugnen, dass sie selbst auch geschwisterliche Hilfe braucht.
1.4 – Es gibt Gründe, die es dringend erforderlich machen, dass wir uns in dieser Zeit besonders stark darum bemühen, die Verbindungen der Christen in der ganzen Welt zu stärken.
1.4.1 – Die Diasporasituation der Christen ist von Tag zu Tag stärker ausgeprägt. Sie leiden als Minderheiten, und diese Situation beschränkt ihre Möglichkeiten. Für die Wahrnehmung der gemeinsamen Mission sind sie auf gegenseitige Stärkung angewiesen.
1.4.2 – Diese Mission vollzieht sich in wachsendem Masse in einer nicht-christlichen Welt. Die evangelischen Werte gehen verloren, die Liebe erkaltet, die Hoffnung schwindet. Um gehört und gesehen zu werden, muss das christliche Zeugnis mit vereinten Kräften erfolgen.
1.4.3 – Es wächst die Kluft zwischen Starken und Schwachen, Reichen und Armen, entwickelten und unterwickelten Regionen. Es wächst auch der religiöse Pluralismus. In dieser Situation muss die Bedeutung der christlichen Gemeinschaft neu bedacht werden. Wie kann sie in einer geteilten Welt gelebt werden?
1.4.4 – Die Welt ist eine Welt, und die Probleme stehen in Wechselbeziehung. Die Armut der Dritten Welt hat z. B. ihre Wurzeln vorwiegend im Reichtum der Ersten Welt. Es geht darum, die Mitverantwortung der Einen für die Anderen zu entdecken und sie durch entsprechende diakonische Dienste wahrzunehmen.
1.4.5 – Die grossen Probleme unserer Welt, besonders bezüglich Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, müssen gemeinsam angepackt werden. Sie bedrohen das Überleben der Menschheit. Es müssen Wege gefunden werden, um allen Menschen zureichende Lebensbedingungen zu gewährleisten.
2 – Definition
2.1 – Gemeinschaft, die aus dem Glauben an Jesus Christus entsteht, braucht in Wirklichkeit keine Vereinbarungen und Verträge für ihre Ausübung. Sie ist wesenhaft spontan. Und doch können Vereinbarungen nützlich sein, indem sie besonders intensive Formen kirchlicher Geschwisterlichkeit benennen und regeln. Sie haben ihren Platz vorwiegend zwischen Gemeinden und Kirchen derselben Bekenntnisfamilie, d. h. im Falle der IECLB zwischen Kirchen, die sich mit der Reformation des 16. Jahrhunderts verpflichtet wissen.
2.2 – In diesen Rahmen gehört auch die Partnerschaft. Sie bedeutet eine besondere Form kirchlicher Gemeinschaft zwischen Gemeinden oder kirchlichen Organenund ist als solche für die Gemeinschaft wichtig. Sie beschreibt eine gegenseitige Verpflichtung zwischen Partnern, die bereit sind, Erfahrungen auszutauschen, Gaben miteinander zu teilen und die Zusammenarbeit zu pflegen.
2.3 – Partnerschaft darf nicht mit Patenschaft verwechselt werden. Sie verwirft das paternalistische Denken. Sie vollzieht sich vielmehr auf Augenhöhe, trotz der Unterschiede zwischen den Partnern. Sie ist mit einer Freundschaft vergleichbar, die zwischen Gliedern derselben Familie erklärt und bestätigt wird.
2.4 – Alle Partnerschaften sollen in Einklang mit den Richtlinien stehen, die für Vereinbarungen und Verträge von höherer Instanz erlassen wurden, d. h. von den zuständigen Kirchen, denen die Partner angehören.
3 – Ziele
3.1 – Eine Partnerschaft kann ganz spezifische Ziele haben, je nach den Partnern und der Umstände. Klare Definitionen sind erforderlich, um eine gute Ausübung zu gewährleisten. Es ist wichtig zu unterstreichen, dass eine Partnerschaft nicht in erster Linie darauf aus ist, Geldmittel zu besorgen.
3.2 – Abgesehen von den spezifischen Zielen gibt es jedoch die allgemeinen, die für jegliche Partnerschaft gelten und beachtet werden sollten. Wir nennen die folgenden:
3.2.1 – Partnerschaft zielt auf einen Lernprozess. Sie besteht darin, einander kennen zu lernen, Erfahrungen und Glaubensinhalte auszutauschen. Sie möchte den Anderen und die Andere kennen lernen, ihre Probleme, Schwierigkeiten, Fragen, Freuden und Hoffnungen. Dazu ist es unerlässlich, sich in den Kontext zu vertiefen, in dem die Brüder und Schwestern leben. Daraus erfolgt notwendigerweise eine Erweiterung des Horizonts. Sie bereichert den Glauben, der an Tiefe, Weisheit und Festigkeit gewinnt.
3.2.2 – Partnerschaft stärkt das Bewusstsein und die Praxis der Solidarität. Sie bricht die Isolierung auf und vertieft die Gemeinschaftserfahrung. So vermittelt sie wirkliche Hilfe und wird zum Anwalt und zur Stimme des Anderen. Übrigens ist auch die Kritik in der Solidarität impliziert, sofern sie immer von der Bereitschaft zur Selbstlkritik begleitet ist. Nicht zuletzt lehrt Solidarität das Teilen.
3.2.3 – Partnerschaft dient auch dem gemeinsamen Feiern, der Gemeinschaft im Gebet und im Hören auf das Wort. Sie bedeutet Gottesdienst, Zeugnis, gemeinsames Fest, wenn auch an verschiedenen Orten, und zeigt damit etwas von dem Bild weltweiten christlichen Gemeinde.
3.2.4 – Partnerschaft ist der Versuch, mit nur einer Stimme zu sprechen, wenn auch aus verschiedenen Kontexten und Situationen. Sie bedeutet das Bemühen um Kohärenz und Einheit im Zeugnis auf Grund der Verpflichtung mit der Wahrheit. So gewinnt das Zeugnis Glaubwürdigkeit und Kraft.
3.2.5 – Partnerschaft macht besondere missionarische und diakonische Intitiativen möglich. Sie vereint die Partner um Projekte, Aktionspläne, Dienste. Es ist wichtig darauf zu achten, dass die Partnerschaft nicht auf blosse Erklärungen beschränkt bleibt, sondern dass sie auch in konkreten praktischen Initiativen zum Ausdruck kommt, wie etwa im Bereich der Ökologie, der Bildungsarbeit, des sozialpolitischen Engagements oder in andereren Formen.
4.1 – Die Formen der Partnerschaftsausübung bleiben der Kreativität der Partner überlassen. Sie können nicht im Voraus festgelegt werden. Sie hängen vor allem von den zur Verfügung stehenden Mitteln ab.
4.2 – Es gibt Partnerschaften von grösserer oder geringerer Intensität. Intensive Partnerschaften werden getragen durch häufige Begegenungen von Menschen oder Gruppen und durch das gegenseitige Sich-kennen-lernen. Andere Partnerschaften werden sich mit mehr indirekten Kontakten durch Briefe und Austausch von Berichten begnügen müssen. Beide Formen haben ihre Berechtigung und sollten im Rahmen der Möglichkeit in Kombination gepflegt werden.
4.3 – Jedenfalls gibt es Hilfsmittel zur Pflege der Partnerschaft wie Berichte, Begegnungen, Fürbitten, Kundgebungen, Studien über die kontextuelle Wirklichheit der Partner, Gutachten, Publikationen, Zeugnisse, Austausch von Materialien wie Liturgien, Predigten, Andachten und Anderes. Die gegenseitigen Informationen sollten möglichst breitgefächert sein, damit ein Partner sich in die aktuelle Wirklichkeit des anderen versetzen kann.
4.3 – Recht praktizierte Partnerschaft kann Einstellungen verändern, Bekehrung fördern, Mentalitäten ändern. Aber davon abgesehen kann sie auch die Gemeinden neu beleben und Anregungen für den Dienst und den Glauben vermitteln.
Porto Alegre, den 27. November 1989