Karneval, Fastnacht, Fasching….
(von Pastor Jörn Foth)
Menschen kleiden sich in Kostümen, sie verkleiden sich, schlüpfen für eine Zeit lang in eine andere Rolle.
In einem Buch mit dem Titel „Die Entstehung der Kathedrale“ habe ich gelesen, wie im Mittelalter in Frankreich das Volk in der närrischen Zeit die Kirche besetzte: Sie schneiderten sich Kostüme zur Hälfte aus den Roben der Priester und Mönche zur Hälfte aus Theaterkleidern. Viele dieser Kostüme waren halb männlich halb weiblich. Dann wurde ein Theaterstück in der Kirche aufgeführt, in dem man sich über die Geistlichen lustig machte und biblische Texte auf närrische und lächerliche Art darstellte. Zwei Tage dauerte dieses Narrenfest, danach ging der Ernst des Lebens wieder los.
Vielleicht ist es ja so, dass je ernster das Leben für die Menschen ist, je weniger es zu lachen gibt, desto mehr brauchen sie so ein Ventil um ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Dieser Gedanke kommt mir jedes Mal wenn ich die Karnevalsumzüge und die Darstellungen der Sambaschulen hier in Brasilien betrachte.
In Deutschland habe ich ein Projekt kennen gelernt, bei dem auch Menschen in eine andere Rolle schlüpfen, allerdings um das Leben von seiner schwierigen Seite kennen zu lernen: „Seitenwechsel“ heißt dieses Projekt. Es ist ein Projekt für Manager und Führungskräfte aus Unternehmen, die sich für eine Woche Urlaub nehmen und in einer sozialen Institution arbeiten. Sie übernehmen beispielsweise die Pflege von Menschen mit Behinderungen, begleiten Wohnungslose zum Sozialamt, machen Hausaufgaben mit minderjährigen Flüchtlingen und lernen die Welt von Jugendlichen in sozialen Brennpunkten kennen.
Ein anderes Projekt lernte ich in den USA kennen. Dort gab es so genannte „street retreats“. Man lebt eine Woche auf der Straße, ohne Geld, nur mit den Kleidern, die man am Leib trägt. Man schläft unter Brücken oder in Obdachlosenunterkünften, geht betteln oder isst in Suppenküchen etc.
Das sind vielleicht extreme Beispiele eines Rollenwechsels, aber sie lehren die Menschen eine ganz wichtige Sache: Empathie, das ist Einfühlung. Wenn ich mich in einen Menschen hineinfühle, dann erlebe ich, wie sich sein Leben anfühlt.
Wenn nach Karneval die Passions- oder Fastenzeit beginnt, ist das vielleicht eine Gelegenheit für uns, unser Einfühlungsvermögen zu trainieren (dazu muss man nicht unbedingt gleich bei einem solchen Projekt mitmachen).
„Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist“
(indianischen Sprichwort)